Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

ABSTINENZ

Mehr als ein Jahr war genug. Solange waren wir noch nie ohne ausgekommen. Aber jetzt reichte es. Hier waren wir, meine Frau und ich, uns einig. Erschwerend hinzu kamen die langen Winterabende beim schummrigen Schein einer Stehlampe. Moralisch hingegen waren wir sogar jetzt gezwungen zu handeln, da wir schon öfters deswegen Geld angenommen hatten. (Dem aufmerksamen Leser muss spätestens hier schon aufgefallen sein, dass wir uns zum Kauf einer Wohnzimmerlampe entschlossen hatten.)

Nichts, aber auch gar nichts hätte uns jetzt an diesem Vorhaben hindern können. Ich in meiner Euphorie und Spontanität rief unsere gemeinsame Bekannte Margret an von der wir wussten, dass wir durch sie in einen Lampen-Großhandel gelangen konnten. Zu dritt fuhren wir hin und ließen uns von der Masse des Angebotes überwältigen. Noch nie sahen wir so viele Privatleute als Großhändler getarnt in einem Räume. Einer jener progressiv-dynamischen Verkäufer zeigte uns nach einer kurzen Beschreibung unseres Wohnzimmers entsprechende Lampen, die seiner Meinung nach das Non-plus-Ultra unseres Wohnzimmers sein würden. Besonders hervor hob er ein Hängegestell mit Papier überzogen, welches von der Decke bis zum Boden reichte. Bei der Frage nach dem Preis stellte er fest, dass die Tatsache des "langen Samstages" diesen Preis wohl rechtfertige, was mich wieder zu der Bemerkung hinreißen ließ, dass für diesen Preis der Samstag wohl doch nicht lang genug sei. Diese Lampe war für uns gestorben. Wie versteinert blieben wir vor einem Modell stehen, welches die klassische Form eines Regenschirmes zeigte. Nach ausgiebigen Überlegungen mit meiner Frau, der Tochter eines westfälischen Beamten, wollten wir uns doch nicht dauernd an den letzten, verregneten Sommer erinnern lassen. Gestorben!

Nach weiteren, fehlgeschlagenen Entscheidungsversuchen stellten wir überraschend fest, dass der Verkäufer immer mehr an Progressivität und "Dynamik verlor und kurz davor war, einen Aufnahmeantrag für eine jener Kliniken zu stellen, deren Hauptbehandlungsmittel immer noch jene weißen Jacken sind, die es am Markt nur schwer zu kaufen gibt und von denen man sich nicht so leicht trennt, wenn man sie einmal trägt.

Trotzdem wagte er einen letzten Versuch, welcher ihm dann auch das solange vermisste Erfolgserlebnis bescheren sollte. Diese Lampe war das Höchste. Eine Hymne aus zwei braungetönten Plexiglashalbkugeln und Ahornblättern, hängend an einer Messingkette. Gekauft.

Zu diesem letzten großen Zugeständnis gelangten wir durch die Bestätigung des jetzt wieder dynamischer werdenden Verkäufers, dass dieses Modell im Landkreis Köln und im angrenzenden Vorgebirge erst zweimal verkauft worden sei und unser Modell das letzte sei, was in Deutschlands Marktwirtschaft im Handel sei. Beim Bezahlen an der Kasse mussten wir feststellen, dass der Verkäufer sich von seiner Frau abholen ließ; eine doch etwas angenehmere Form einer Jacke brauchte er scheinbar doch. Wieder Zuhause angekommen kam meine Frau während des Auspackens der Lampe auf die leichtverständliche Idee, zum Zeichen ihrer Freude das Rauchen wieder in vollem Umfange aufzunehmen. Als sozialdenkende Menschen gaben wir der Lampe die Möglichkeit, sich übers Wochenende unaufgehangen an ihre neue Umgebung zu gewöhnen, letztendlich wohl auch in Ermangelung einer Schlagbohrmaschine. .

Nie werde ich das versteinerte Gesicht unseres Betriebsschlossers vergessen, als ich am folgenden Montag nach einer Schlagbohrmaschine fragte und sie auch erhielt. Meine technischen und handwerklichen Fähigkeiten hatten sich inzwischen bis zur inoffiziellen Frühstücks- und "Express"-Ecke unserer Schlosserei rundgesprochen, obwohl ich erst gut zwei Jahre in dieser Firma arbeite. Wie gesagt, erhielt ich die erbetene Schlagbohrmaschine und ein Anruf bei meiner Frau kurz vor Arbeitsschluss ließ mir ihre Bereitschaft signalisieren, das für diesen Montag eingeplante Vorhaben mit aller Intensität in Angriff zu nehmen. Ohne jede größere Mühe gelang es mir, das notwendige Loch in die Decke zu bohren und die Lampe mit Dübel und Haken aufzuhängen. Wie dreijährige Kinder vor dem Weihnachtsbaum-standen wir in der Tür, die hängende Lampe betrachtend. Uns fiel der wohltuende optische Effekt auf, wie sich die Ahornblätter von unserem Kieferntisch abhoben. Übereinstimmend stellten wir fest, daß hier z.B. Stachelbeerstrauchblätter nicht diesen Effekt erbracht hätten.

Das Schwierigste schien uns, hatten wir hinter uns und der Anschluss ans Stromnetz sollte nur eine Frage der Zeit sein. Da es jetzt 18.3o Uhr war, gaben wir uns Zeit bis 2o.3o Uhr und im Rahmen der Emanzipation übernahm meine Frau das Aneinander-klemmen verschiedenfarbiger Drähte. Meine Bewunderung dafür wird; nur derjenige verstehen, der meine Abneigung gegen alles Elektrische gleichsetzt mit meiner Abneigung zu Boa constriktas und Blumenkohl . Ergänzend sei noch gesagt, dass ich mich nur mit Hilfe des Holzgriffes des Stockschirmes meiner Frau daranmachte, die Sicherung am Stromzähler auszuschalten, während die bunten dünnen Drähte unter den flinken Fingern meiner Frau zu wahren Metallgebilden gediehen. Noch ahnte ich nicht, dass der Schirmgriff zu meinem ständigen Begleiter für diesen Abend werden sollte. Die Metallgebilde waren jetzt soweit fertig, dass ich daran ging, den Sicherungsschalter wieder in seine funktionsfähige Stellung zu bringen, wogegen dieser sich aber wehrte und in seine nichtfunktionsfähige Stellung zurücksprang; mit einem für jeden deutlich hörbaren Knall. Sowas kann jedem passieren und konnte uns nur in unserem Tun antreiben. Dieser Vorgang wiederholte sich ca. 19 x an diesem Abend. Die Lampe weigerte sich standhaft zu brennen. Sämtliche Drahtkombinationen hatten wir durchprobiert und mir schien der Zeitpunkt gekommen, Schwiegervater anzurufen, welcher in dieser Beziehung mir jedes Verständnis entgegen bringt, sich aber wiederum fragt, ob seine Tochter bei der Hochzeit keine Augen im Kopf hatte. Schwiegervater wusste sich auch keinen Rat, als nochmals sämtliche Kombinationen zu probieren, uns aber riet, auf keinen Fall zu vergessen die Erde anzuschließen. Hier hakte es bei mir nur aus und ich übergab den Hörer an meine Frau, die währenddessen versucht hatte, die Lampe durch eine Beschwörungsformel zum Brennen zu bewegen., etwa mit den Worten: "Brenne, Lampe brenne',' oder mit dem drohenden Ausspruch: "Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt".

Nichts half, auch nicht die Unterredung mit ihrem Vater und wir probierten wieder 18 Kombinationen durch. Eine Kombination hatten wir bei genauerem Überlegen wieder fallengelassen, so daß uns die 18 Kombinationen nicht mehr so ins Gewicht fielen. Inzwischen war es 2.3o Uhr nachts und wir beschlossen eine Pause von einer Nacht und der Zeit eines Arbeitstages einzulegen, so daß wir frei jeden Vorurteils gegen Strom, Sicherungen und bunte Drähte die Arbeit am Dienstag wieder aufnehmen könnten. Meine Vermutung, daß der Strom auch nicht mehr wie früher sei, konnte ich durch nichts erhärten, geschweige denn beweisen. Um mich kurz zu fassen sei gesagt, dass der Dienstag abend in der Anfangsphase die gleichen Merkmale aufwies wie der Montag abend, nur mit dem Unterschied, Schwiegervater stand nach einem verzweifelten Hilfeschrei gegen 2o.3o Uhr auf der Matte und um 21.00 Uhr brannte die Lampe. Den Grund für das Nichtbrennen hatte er sofort gefunden, worauf ich aber hier nicht näher eingehen möchte, dafür war der Fehler zu schnell gefunden! Trotz aller Rück- und Fehlschläge fanden wir doch noch den Nerv, uns richtig zu freuen, während Schwiegervater meinen eisernen Bestand an Bier angriff. Seit diesem Abend rauche ich wieder.

Zurzeit stehen wir in Verhandlungen mit den KVB(Kölner Verkehrsbetriebe) deren Fahrgäste der Buslinie 51 nicht umsonst diese Hymne aus 2 braunen Plexiglas Halbkugeln mit Ahornblättern, Messingreif, Messingkette und Licht beim Vorbeifahren bestaunen sollen. Sollten diese Verhandlungen zu nichts führen, sehen wir uns gezwungen, entweder ohne Licht im Wohnzimmer zu sitzen oder mit Licht und heruntergelassenen Rollläden.

ENDE !!!